Das Dao der Hufpflege - Gedanken über die Beschlag vs. Barhuf - Debatte

von Dr. Christine King

Ich wurde zu diesem Artikel inspiriert durch ein barhufiges Dressurpferd, das ich kürzlich sah. Ich bin absolut dafür, daß Pferde barhuf laufen, wenn sie ohne Beschlag komfortabel leben und arbeiten können. Ich bin aber auch nicht unerbittlich gegen das Beschlagen von Pferden, wie einige der extremeren Barhufanhänger. Ich bevorzuge den Mittelweg - das Dao (oder auch Tao) - wenn es um Hufpflege geht.


Der Huf als sensorische Struktur

Wir sind gewohnt zu denken, daß der Pferdehuf eine harte, unsensible Schale ist, die das Hufbein umhüllt und schützt. Auch Tierärzte und Schmiede benutzen oft den Begriff "Hufkapsel" wenn sie über die schuhähnliche Struktur sprechen, die Hufwand, Sohle, Strahl und Ballen umfaßt. Dieser Begriff, auf seine Art nützlich, betont jedoch die Rolle des Hufs als inaktive Hülle. Die sensorische Leistungsfähigkeit des Hufs drängt sich uns nur auf wenn das Pferd auf einen Stein tritt, einen Abszeß hat, vernagelt wird oder sonstwie lahm geht.

Tatsache ist aber, daß der Huf eine wichtige Rolle in der Fortbewegung spielt, die über seine Aufgabe der Unterstützung der Gliedmaße und Schutz des Hufbeins vor Verletzungen hinausgeht. Nur die Unterseite des Hufs ermöglicht dem Pferd in der Fortbewegung direkten Kontakt mit dem Untergrund, die Funktion des Hufs, das "Lesen" der Bodenoberfläche (die Neigung, Härte/Weichheit, Unebenheiten, Schlüpfrigkeit etc.), ist also sehr wichtig für sicheres und effiziente Fortbewegung.

Damit das Pferd sich schnell und geschickt über unterschiedliches Terrain bewegen kann müssen die sensorischen Strukturen im Huf und anderen Stellen der Gliedmaße (speziell Gelenke, Sehnen und Bänder) rasch und akkurat Informationen über die Bodenoberfläche an das zentrale Nervensystem (das ZNS, das Gehirn und Rückenmark umfaßt) weiterleiten. Das ZNS sendet daraufhin eine angemessene Antwort zurück an die Muskeln, die für die Plazierung der Gliedmaße zuständig sind. Auf diese Art wird jeder Huf und jede Gliedmaße optimal für die nächste Schrittfolge belastet, so daß das Pferd sich in schwungvoller, koordinierter, sicherer und effizienter Manier bewegen und dabei jede Schrittfolge den Änderungen der Bodenoberfläche anpassen kann.

Die Übertragung der Informationen - Wahrnehmung und Reaktion - muß in den schnelleren Gangarten innerhalb von Millisekunden vonstatten gehen. Im durchschnittlichen Arbeitsgalopp macht das Pferd etwa 90 Galoppsprünge in der Minute, und im schnellen Galopp über 120 Sprünge pro Minute. Mit anderen Worten, jeder Sprung wird in 0,7 Sekunden im langsamen und in 0,5 Sekunden im schnellen Galopp absolviert. Die sensorische Informationen muß also ihren Weg die gesamte Gliedmaße hinauf vom Boden bis zum Rückenmark nehmen und eine motorische Reaktion wieder hinunter durch die gesamte Muskulatur der Gliedmaße erfolgen, alles innerhalb einer halben Sekunde!


Sensorische Rezeptoren im Huf

Die derzeitige Arbeit von Dr. Robert Bowker, einem tierärztlichen Anatomisten der Michigan State University, hat einige faszinierende Informationen über die Nervenversorgung innerhalb des Hufs enthüllt. Es stellte sich heraus, daß die verschiedenen weichen Gewebe im Huf reichlich mit sensorischen Rezeptoren ausgestattet sind - spezialisierte Nervenenden, die über die mit ihnen verbundenen sensorische Nerven Informationen an das ZNS übermitteln.

Dies mag keine große Überraschung sein wenn man bedenkt wie lahm ein Pferd gehen kann nachdem es nur auf einen Stein getreten ist. Was mich trotzdem so erstaunt ist die Zahl und Vielfalt der sensorischen Rezeptoren im Huf, die nichts mit der Schmerzempfindung zu tun haben.

Es gibt viele verschiedene Typen von sensorischen Rezeptoren, jeder dazu bestimmt auf eine bestimmte Art der Stimulation zu reagieren. Die meisten dieser bis jetzt identifizierten sensorischen Rezeptoren können in drei große Kategorien eingeteilt werden, die auf der Art der zur Aktivierung erforderlichen Stimulation basieren:

  • Mechanorezeptoren. Diese Rezeptoren reagieren auf physische oder "mechanische" Deformation des Gewebes, z.B. wenn Druck oder Spannung auf das Gewebe einwirkt. Mechanorezeptoren im oberflächlichen Gewebe (z.B. Haut) werden aktiviert durch subtile und harmlose Stimuli, wie etwa weichem oder leichtem Druck. Mechanorezeptoren im tieferliegenden Gewebe reagiert nur auf stärkeren Druck, der mechanisch das darüberliegende Gewebe deformiert.
  • Nocizeptoren. Diese Rezeptoren reagieren auf physische, möglicherweise Gewebeschäden verursachende, Stimuli und auf die biochemischen Konsequenzen von Gewebeschäden (z.B. Entzündungen). Mit anderen Worten, Nocizeptoren verursachen eine Schmerzreaktion auf "schädliche" Stimuli.
  • Thermorezeptoren. Diese Rezeptoren sind speziell dafür ausgelegt, Temperaturunterschiede in Geweben zu erkennen.
  • Mechanorezeptoren und Nocizeptoren sind im Pferdehuf reichlich vorhanden. Die Rolle der Nocizeptoren wird sehr deutlich wenn es zur Hufeisen vs. Barhuf - Debatte kommt. Wenn ein Pferd nach dem Entfernen der Hufeisen fühlig läuft geschieht dies weil seine Nocizeptoren aktiviert werden, entweder durch exzessive Druckbelastung der empfindlichen weichen Gewebe auf der Unterseite des Hufs (Potenzial für mögliche Gewebeschäden) oder durch entzündliche Prozesse im Huf (tatsächlich vorhandene Gewebeschäden).

    Es sind die Mechanorezeptoren, auf die ich mich konzentrieren möchte. Mechanorezeptoren bilden eine Gruppe von unterschiedlichen spannungs - und druckempfindlichen Rezeptoren. Der Pferdehuf enthält eine Vielfalt dieser Rezeptoren, deren spezielle Verteilung uns über ihre Aufgabe bei Fortbewegung und Propriozeption (relative Position der Körperteile zueinander und zum Untergrund) Auskunft gibt.

    Zum Beispiel sind Pacinian corpuscles (vibrations - und berührungsempfindliche Hautrezeptoren) ein spezieller Typ von Mechanorezeptoren. Sie sind schnell reagierende und schnell sich anpassende Rezeptoren, was bedeutet, daß sie schnell auf vorrübergehende mechanische Deformierung des sie umgebenden Gewebes reagieren. Nachdem sie aktiviert wurden hören sie jedoch auf zu reagieren wenn der Stimulus in derselben 0.5 - 1 Sekunden - Periode wiederholt wird oder der Stimulus fortbesteht. Dies sind die Rezeptoren, die "schießen" wenn der Huf auf den Untergrund trifft und dabei das ZNS darüber informieren, daß Bodenkontakt erfolgt ist. Sie hören dann auf zu "schießen" bis der Huf wieder vom Untergrund abgehoben wird - mit anderen Worten bis ein anderer gravierender Wechsel bez. Druck oder Spannung im Gewebe passiert.

    Die meisten Pacinian corpuscles im Pferdehuf sind mit den Typen von Nervenenden verbunden, die für die schnelle Informationsübermittlung von Gewebe zum Rückenmark verantwortlich sind. Es scheint also daß diese spezialisierten sensorischen Rezeptoren ein essentielles Element der koordinierten Bewegung sind.

    Pacinian corpuscles (Hautrezeptoren) konzentrieren sich im Trachtenbereich des Pferdehufs, speziell über die Breite des hinteren Strahlbereichs, den Ballen und im losen Bindegewebe zwischen den Hufknorpeln, die sich zu beiden Seiten des Strahlpolsters oben auf den Hufbeinästen befinden. Diese speziellen Mechanorezeptoren sind in vielen anderen Hufbereichen nicht zu finden, inclusive der Sohle und den Hufwänden, was darauf hinweist, daß der Trachtenbereich darauf ausgelegt ist, bei Bodenkontakt zuerst mit Gewicht belastet zu werden und erst danach der Rest des Hufs.

    (Man findet den Rezeptorentyp Pacinian corpuscles auch in den kleinen Zusatzbändern der tiefen Beugesehne an der Hinterseite der Fessel und im Bindegewebe und den Aufhängebändern des Strahlbeins. Diese spezielle Verteilung hat einige interessante Zusammenhänge, aber das ist ein andere Thema.)

    Ruffini corpuscles sind ein anderer Typ von Mechanorezeptoren. Sie sind im Gewebe vertreten, das Nerven und Blutbahnen zum Huf umgibt, weiterhin im sensiblen Gewebe der Sohle. Anders als die Pacinian corpuscles reagieren Ruffini corpuscles auf graduelle Stimulation und fortgesetzten Druck und Spannung, und sie "schießen" solange wie die Stimulation besteht. Daher liefern sie Sinnesinformationen während der Standphase der Schrittfolge und während das Pferd stillsteht oder sich langsam fortbewegt (z.B. beim Grasen). Diese Rezeptoren lassen das ZNS wissen, daß der Huf belastet wird und auch wo und wie er plaziert ist.

    Die differenzierte Sensibilität der zahlreichen Mechanorezeptoren, die sich im Pferdehuf befinden, versorgen das Pferd mit einer breiten Palette an sensorischen Informationen, die weit über das Gefühl von schmerzhaft oder nicht schmerzhaft hinausgehen. Durch die verschiedenen Rezeptortypen, die jeder etwas unterschiedliche Informationen an das ZNS senden, ist das Pferd in der Lage, schnell und akkurat eine Vielzahl von Empfindungen wahrzunehmen und angemessen zu reagieren, je nachdem was die Situation oder der Umstand erfordert, sei es unebenes Terrain, das in hohem Tempo überwunden werden muß, in einer schlüpfrigen Ecke Halt zu finden oder den Huf von einem verborgenen Stein zu heben bevor die Sohle Schaden nimmt.

    Weiterhin scheint die differenzierte Aktivierung dieses wahren "Orchesters" von Mechanorezeptoren und ihre Aktivierungssequenz bei der Gewichtsbe- und entlastung des Hufs grundlegend für effiziente Fortbewegung. Die reibungslose, koordinierte Funktion der Bewegungsreflexe ist essentiell damit sich das Pferd mit Geschwindigkeit, Grazie, Präzision und ökonomisch bei jedweder Aktivität bewegen kann.


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    Sogar der einfachste Beschlag hebt die Unterseite des Hufs vom Boden ab. Dies ist ein Zweck des Beschlags - die Unterseite des Hufs vor möglichen schädlichen oder schmerzhaften Ereignissen zu schützen, wie etwa dem Tritt auf einen Stein. Dadurch reduziert der Beschlag jedoch wesentlich den Kontakt des Hufs mit seiner Umgebung. (Er verändert auch die Tatsache wie sich die Hufkapsel verformt wenn das Pferd den Huf belastet weil Hufnägel eine Verformung der Hufkapsel von den Seitenwänden vorwärts einschränken. Auch dies beeinflußt die Informationen, die vom ZNS empfangen werden, da sensorische Rezeptoren in den weichen Geweben der Hufwand reichlich vorhanden sind.)

    Es sollte nun offensichtlich sein, daß Beschlag die Art und Menge an Informationen, die vom ZNS empfangen werden, wesentlich verändert und damit auch die Fähigkeit des Pferdes, seine Umgebung angemessen wahrzunehmen und zu reagieren. Die meisten Pferde passen sich an das Laufen mit Beschlag schnell an, und vermutlich lernen sie, mit dem Untergrund umzugehen indem sie sich auf sensorische Informationen von anderen Teilen der unteren Extremitäten verlassen, genauso wie wir in der Lage sind mit Schuhen an den Füßen zu gehen, rennen, springen, tanzen usw..

    Wieviel besser wäre es aber für das Bewegungssystem, speziell bei jungen Pferden und solche, die neue Fähigkeiten erlernen, wenn ihnen ermöglicht würde, das gesamte Spektrum an verfügbaren Informationen zu nutzen. Ich glaube, daß junge Pferde, vor allem die am Beginn ihres Reitpferdelebens stehenden, davon profitieren, so lange wie möglich Barhuf laufen zu können - natürlich vorrausgesetzt, daß sie komfortabel ohne Beschlag leben und gearbeitet werden können. Aus anfänglichem Diskomfort können sich lebenslange Muster von Anspannung und Einschränkungen entwickeln!

    Barhuflaufen kann speziell für junge Pferde nützlich sein, die irgendwann eine Höhe von mehr als 16.2 hands (ca. 164 cm) erreichen. Diese großen, tollpatschigen Jungpferde tendieren dazu, mehr Zeit zum "Finden ihrer Füße" zu benötigen als kleinere Pferde, und sie profitieren oft von einer solideren Verbindung zum Untergrund als die, die ein Beschlag erlaubt. Diese Jungpferde scheinen Balance und Koordination leichter beibehalten und verbessern zu können wenn sie alle Informationen vom Untergrund bekommen um angemessen reagieren zu können.

    Dem erwachsenen Pferd kann Barhuflaufen bessere Leistung in Disziplinen ermöglichen, bei denen es auf präzise Fußplazierung ankommt, wie etwa Dressur, alle Sportarten, die enge Wendungen beinhalten (z.B. Barrel Racing), und alle Aktivitäten, die mit Geschwindigkeit auf unterschiedlichem Terrain absolviert werden (Vielseitigkeit, Distanz, Turnierfahren etc.).

    Während Lahmheit normalerweise Schmerzen zugeschrieben wird (bedeutet die Aktivierung der Nocizeptoren) kann die ungenügende Aktivierung der Mechanorezeptoren an der Hufunterseite in einem weniger "flüssigen" Bewegungsablauf oder weniger graziöser oder präziser Fußplazierung resultieren. Vorrausgesetzt, daß das Pferd barhuf komfortabel leben und arbeiten kann kann das Abnehmen des Beschlages und ein Trim, der normale Hufbelastung und Aktivierung dieser Mechanorezeptoren erlaubt, die Bewegung des Pferdes verbessern - seine Eleganz, "Trittsicherheit" und welche Eleganz immer der spezielle Sport verlangt.

    Lassen Sie mich schließen mit der Wiederholung meiner Aussage, daß manche Pferde nicht komfortabel barhuf laufen können. Ihr Hufzustand, existierende Schäden oder die Art der Arbeit, die sie leisten müssen, erfordern irgendeinen Schutz in Form eines Beschlags oder Schuhs, der komfortables Leben und Arbeit ermöglicht. Ich spreche hier nicht von der Übergangszeit, in der sich viele vormals beschlagene Pferde befinden wenn sie von Beschlag auf Barhuf umgestellt werden. (Viele Pferde laufen für einige Wochen oder Monate fühlig wenn sie nach jahrelangem Beschlag das erste Mal barhuf laufen.) Es gibt einige Pferde, die nie komfortable genug barhuf laufen und damit die von ihnen verlangte Leistung nie ausreichend erbringen können. Der Schutz, die Unterstützung und Griffigkeit, die ein gut ausgesuchter und angepaßter beschlag oder Hufschuh ermöglicht, sollte diesen Individuen nicht um des Prinzips willen vorenthalten werden (d.h. Pferdehufe sollen bleiben wie von der Natur vorgesehen). Aber auch diese Diskussion sollte an anderer Stelle geführt werden.

    Copyright ©2006 Christine King BVSc, MACVSc, MVetClinStud | www.animavet.com